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Alltag

Weltspartag

Du musst nicht alt sein, um zu kapieren, dass Arbeit in unserer Gesellschaft eine zentrale Rolle spielt.

Ich war noch nicht einmal im Kindergarten, als mir klar wurde, dass sich die ganzen „Großen“ permanent mit „der Arbeit“ beschäftigten. Entweder gingen sie „zur Arbeit“, sie kamen „von der Arbeit“ oder sie unterhielten sich über die Arbeit.

Arbeit muss im weitesten Sinne etwas mit Geld zu tun haben und Geld hat wiederum etwas mit Spielzeug zu tun. In meiner damaligen Welt jedenfalls.

Wenn ich im Spielwarenladen meine Nase am Schaufenster platt drückte, hörte ich oft: „Das kostet zu viel Geld!“
Selten gab es dann die Situation, dass ich im Spielwarenladen das ersehnte „Siku“-Auto bekommen habe, wofür der Spielwarenladenbesitzer Geld von meiner erwachsenen Begleitung bekommen hat. Dieser Tausch hat uns stets beide glücklich gemacht, es scheint also ein guter Tausch zu sein.

Wenige Jahre später entwickelte sich ein Ritual: Wenn ich bei Oma war gab es außer leckerem Kuchen zum Abschied oft ein Geldstück in die Hand – auf so eine verschwörerische Art drückte Oma mir das Markstück in die Hand, wenn ich ihr meine Hand zum Abschied gab. Dieses Ritual gehörte wohl zur Sozialisation der Oma-Opa-Großtanten und Großonkel-Generation, denn auch bei den letztgenannten kam es häufiger zu diesem merkwürdigen, aber lukrativen Verabschiedungsritual.

Als Kleinkind hielten sich meine Konsummöglichkeiten Anfang der 1980er Jahre arg in Grenzen, so füllte sich meine Spardose über das Jahr gesehen regelmäßig, bis sie dann am „Weltspartag“ ihren Inhalt hergeben musste.

Mein erster Weltspartag war entsetzlich!
Ich war mit Mama in der „Kreissparkasse“, die seinerzeit noch in einem an einen Bunker erinnernden Bau mitten in unserer Kleinstadt residierte. Drinnen herrschte eine Mischung aus Bahnhofs- und Turnhallen-Athmosphäre: Neonlicht, hohe Decken, dicke Glasscheiben und viele alte Männer mit braunen oder schwarzen Anzügen und Krawatte.

Diese Kerle kamen mir von Anfang an dubios vor.
Ich sollte Recht behalten: kaum kamen wir an die Reihe, riss mir so ein Anzugträger meine Spardose aus der Hand, griff zu einem großen Schlüsselbund und öffnete die Klappe am Boden der Dose. MEIN ganzes Geld ergoss sich in eine flachrandige Kiste. Die beiden Zehnmarkscheine griff der Sparkassen-Typ und legte sie auf seinen Tisch, anschliessend schüttete er mein restliches Geld aus der Kiste in eine Maschine. Es gab einen riesen Krach, ein Rattern und Klimpern und nach ein paar Augenblicken sagte der Mann zu mir: „Da hast du ja ein kleines Vermögen gespart. Möchtest du eine Spardose, ein Plüschkrokodil oder ein Malbuch?“

Ich zögerte, denn ich wollte für mein Geld eigentlich nur Siku-Autos! Plüschtiere und das andere Zeugs sind bestimmt nett, aber eben keine Autos!

Die Situation schien aber verfahren zu sein. Der Kerl machte keine Anstalten meine Kohle wieder zurück in die Spardose zu tun, stattdessen schrieb er etwas in ein kleines Heft. Mama schien das nicht zu wundern, sie wandte sich zu mir und sagte, ich solle mich nun mal entscheiden, es würden ja noch andere Kinder warten.

Ich verstand zwar nicht was hier gespielt wurde, aber Mama wirkte ruhig und nicht besonders empört, so dass ich mich gegen meine ansonsten gefürchteten, aber regelmäßig ausgelebten Anfälle von Bockigkeit und Tobsucht entschied.

Ich nahm das Krokodil und meine leere Spardose und wir gingen nach draußen. Bis nach Hause waren es nur ein paar Meter. Auf der Hälfte der Strecke fing ich an zu weinen: Mein schönes Geld war weg!

Mama fragte mich, was denn los sei. Ich erzählte ihr, dass ich lieber mein Geld behalten, als dieses doofe Krokodil bekommen hätte.
Sie erzählte mir, dass das Geld ja nicht weg sei, es wäre jetzt auf meinem Sparbuch.

Ich verstand die Welt nicht mehr!

Angeblich würde ich mein Geld zurück bekommen, wenn ich mit diesem ominösen Buch zur Sparkasse gehen würde.
Sie zeigte mir mein Sparbuch und als wir zu Hause waren auch ihr eigenes Sparbuch (wenn ich mich richtig entsinne hatten wir beide ein ähnlich hohes Anlagevermögen).
Ich beruhigte mich etwas, traute dem Frieden aber nicht so richtig.

Ein paar Monate später kam dann der Schock.
Auf dem Weg vom Kindergarten nach Hause sah ich, dass ein Bretterzaun um das Gebäude der Sparkasse aufgestellt wurde. Es standen einige LKW und Bagger rum, was ich extrem spannend fand. Am nächsten Morgen auf dem Weg zum Kindergarten kam es dann, wie es kommen musste: ein großer Bagger machte sich daran, die Sparkasse abzureißen! Ich wurde wütend und fing an zu heulen.

Meine Mutter wußte gar nicht, wie ihr geschah. Sie dachte, ich würde mich über die tollen Baumaschinen freuen – stattdessen wurde ich bockig. Sie fragte, was denn los sei, und ich erwiderte: „MEIN GELD!!! DA DRIN IST DOCH MEIN GELD!!!“

Mama gab sich Mühe, mir zu erklären, dass die Sparkasse bis zur Fertigstellung ihres Neubaus im Sommer 1983 ja in einem anderen Gebäude residieren würde, und dass ich dort jederzeit über mein Geld verfügen könne. Da meine Mutter eine durchweg ehrliche Frau ist, und ich dringend in die „Rote Gruppe“ musste, um noch eins der coolen Spielzeuge auf dem Spielplatz abzubekommen, gab ich mich mit dieser Erklärung zufrieden.
Monate später tigerten wir wieder mit der Sparbüchse und dem Sparbuch zur provisorischen Sparkasse. Ein anderer Anzugträger entleerte den Inhalt meiner Spardose und trug eine neue Zeile in mein Sparbuch ein.

Ich bekam ein weiteres Plüschtier und war zufrieden.

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