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Alltag

Überdurchschnittlich

Es kann von Vorteil sein, wenn man sich oberhalb des Durchschnitts bewegt: beim Einkommen, beim Vermögen, bei der Fitness, der Intelligenz und bestimmt auch bei ganz vielen anderen Dingen.

Es gibt aber auch Bereiche, da sieht das anders aus. Eine Stadt mit überdurchschnittlich hohen Schulden wird in der Regel nicht besonders lebenswert sein, ein Auto mit überdurchschnittlich vielen Pannen in den amtlichen Statistiken wird man auch eher meiden.

Wenn man also die Wahl hat, sich für oder wider einen überdurchschnittlichen Sachverhalt zu entscheiden, dann ist man in der komfortablen Lage, hier selbst aktiv werden zu können.

Landet man aber durch genetische Disposition in einer Minderheit, der nur 6,3% (Quelle: Statista) der männlichen Bevölkerung des Landes angehören, dann hat man keine Wahl.

Die Rede ist von der Körpergröße.
Es gilt vielleicht als eher erstrebenswert groß gewachsen zu sein, im Vergleich zum anderen Extrem, den Kleinwüchsigen, ist der Grad der Einschränkungen sicherlich geringer. Nichts desto trotz: Mit deutlich über 190cm Körpergröße wird es oftmals wirklich eng.

Ich selbst wuchs als Teenager auf stattliche 200cm Körpergröße heran. Schon damals empfand ich »die Zwei vorne« als stigmatisierend. So log ich mich auf 198cm, als ich meine Körpergröße bei der Beantragung des ersten Personalausweises nennen sollte.

Kleidung kaufen war in den 1990ern schwierig: Ich hatte oft »Hochwasser« und auch die Ärmel meiner Sweatshirts reichten selten bis zum Handgelenk. Dank des Internets ist es bedeutend leichter geworden hier passende Kleidungsstücke zu bekommen – sofern das Label denn an uns 6,3% gedacht hat…

Architekten haben immerhin bei der Bemessung von lichten Durchgangshöhen bei Zimmertüren ein Einsehen gehabt: 211,5cm stellen hier mittlerweile die Norm dar. Inkonsequent wird es dann aber, wenn es an die Gestaltung von Grundrissen geht: Wenn man mit rund zwei Metern halbwegs rückenfreundlich schlafen möchte, dann braucht man ein Bett mit »Überlänge« (die Diskriminierung die diesem Terminus inne wohnt schlägt sich mithin auch in der Preisgestaltung dieses Möbels nieder). Um ein Bett mit einem Maß von ca. 225cm Länge aufstellen zu können, sollte dies eben auch bei der Grundrissgestaltung berücksichtigt worden sein. Wenn nicht wird man schnell merken, dass der Laufweg hinter dem Bett eng wird, oder gar die Schranktüren nicht mehr geöffnet werden können.

Im eigenen Zuhause kann man sich im wahrsten Sinne des Wortes darauf einrichten. Auf Reisen sieht es leider anders aus. Hier hat sich die Erkenntnis, dass es durchaus Menschen gibt, die größer als 1,90m sind noch nicht überall herumgesprochen. Um so trauriger finde ich es, wenn man sich in gerade neu gebauten Hotels in einem »Standard-Bett« mit einem Matratzenmaß von irgendwas-mal-zwei-Meter wiederfindet.

Ich möchte weder auf die Tränendrüse drücken, noch tauschen: wenn man von gewissen Einschränkungen absieht, lebt es sich ganz gut als »Riese«. Ich möchte vielmehr für etwas mehr Verständnis und etwas weniger Diskriminierung werben: Wir, die wir zu den 6,3% gehören, haben es uns nicht ausgesucht. Wir sind es leid uns Sprüche über die Möglichkeit der Erfrischung aus Dachrinnen anzuhören, oder die immer wiederkehrenden Warnungen beim Durchschreiten von Türen anzuhören. Zumindest mir ist es unangenehm, wenn ich im Kino oder im Konzert den Menschen in den Reihen hinter mir die Sicht versperre. Es ist auch nicht immer vorteilhaft, wenn man als einziger aus Menschenmengen hervorragt – ungesehen in einer großen Gruppe bleibt man nie.

Also: Seid nett zu uns Riesen!
(sonst verstopfen wir euch die Dachrinnen 😉

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