Wer mich kennt weiß um meine Jugendsünden. Damit meine ich nicht das auf halber Strecke beendete Soziologiestudium, sondern halbgar im Vollrausch durchlebte Pyrotechnik-Exzesse im Alter zwischen 16 und 18.
Damals, es war in den 1990er Jahren, galten in Westdeutschland eine Menge maskuliner Stereotypen: Der »Marlboro-Mann« stand für die Freiheit, die ich mir wünschte, die »Alexander von Humboldt« war zusammen mit der markanten Stimme von Hans Hartz die Verheißung des bierseligen Fernwehs und der Glaube, mit Sprengstoff könne man Probleme lösen stammte aus den vielen Action-Filmen, die uns das Privatfernsehen frisch ins Jugendzimmer gespült hatte.
Es war eine seltsame Zeit. Die Welt war im Umbruch, der eigene Körper voller neuer Hormone und mit beidem wussten meine Kumpels und ich nicht recht umzugehen.
Wir waren der festen Überzeugung, dass Mädchen nur auf kleine lässig rauchende, Dosenbier trinkende Schwarzeneggers abfahren würden. Uns dämmerte zwar, dass es durchaus auch anders sein könnte, wir wollten aber daran glauben, denn so recht wussten wir nicht, was uns denn sonst interessant machen könnte.
In diesen Jahren sahen die Jahreswechsel stets gleich aus: meine Clique und ich trafen uns an Silvester, wir tranken Dosenbier und »Hoppel-Opa«, aßen Tiefkühlpizza oder das letzte Menü von Mc Donald’s bevor die sicherheitshalber ihren Laden abschlossen.
Am späten Abend dann zogen wir marodierend los. Stupide entluden wir unseren angestauten Frust durch Abbrennen von hunderten von »China-Böllern«. Oft war es nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass wir am Neujahrsmorgen noch alle Finger, Zehen und Augen beieinander hatten.
Irgendwann – nach zwei oder drei derart verlebten Jahreswechseln – kam die Erkenntnis: So geht das nicht weiter. Wir suchten also Gesellschaft und feierten fortan die Jahreswechsel mit anderen Gleichgesinnten und Andersgeschlechtlichen Menschen.
Schnell kam dann auch die Erkenntnis, wie destruktiv und stumpf diese Pyro-Exzesse waren, und alsbald stellte sich sogar ein gehöriger Respekt vor Feuerwerk ein, nicht zuletzt durch viele negative Erfahrungen in den folgenden Jahren.
Dreissig Jahre später
Jetzt bin ich in der Situation des »alten weißen Mannes«, der mittels Mensplaining die Welt ein bisschen besser machen möchte.
Ich habe Kinder und Haustiere und muss sagen, dass die beiden vergangenen Jahreswechsel, die wegen der Covid-19-Pandemie ohne privates Feuerwerk stattfinden mussten, die friedlichsten und schönsten waren, die ich seit langer Zeit erinnern kann.
Unsere beiden Kater wurden 2020 geboren, für sie bricht dieser Tage die Hölle ein. Ich vermag mir nicht vorstellen, was in den beiden Tieren aktuell vorgehen muss.
Im Fernsehen habe ich heute einen Mann meines Alters gesehen, der seit Mitternacht auf die für 6 Uhr anberaumte Öffnung eines Feuerwerkslagerverkaufs in Bremerhaven wartete. Auf die Frage, warum er sich das antun würde sagte er im Brustton der Überzeugung: „Die Kinner solln ja auch ma wieda ’n büschn was gebotn kriegn!“ – Ich war verunsichert und fragte meine beiden Töchter, was ich denn für sie tun könne? Bengalisches Feuer? China-Böller? Raketen? Batterien? – Die beiden schauten mich fassungslos an und schüttelten nur angewidert den Kopf. Irgendwas scheint mit uns nicht normal zu sein.
Jetzt aber zur Perspektive des alten weißen Mannes
Liebe Justins, Dustins und Marvins da draussen. Wenn ihr zwischen 16 und 25 Jahre alt seid, gern »FaKo«, »Charly« oder »Wodka-E« zu euch nehmt, gern einen freshen Flavor »vaped« und auch ansonsten wenig mit den kleinen Chantals, Shakiras oder Schackelines anfangen könnt, obwohl euer innerer Kompass euch schon in diese Richtung weist: Ich habe einen Rat für euch!
Lasst die Scheiße! Niemand, auch nicht die oben genannten Ladies, finden es wirklich geil, wenn Mann (so kann man euch irgendwie doch schon bezeichnen) sein ganzes Taschengeld, Lehrlingsgehalt oder Haushaltsgeld in Form von Feuerwerk im wahrsten Sinne des Wortes in die Luft bläst. Lasst euch was einfallen! Kauft Blumen für Shakira, ladet sie zum Essen ein oder schreibt ein Gedicht (es soll da jetzt einen Chat-Bot geben, der sowas mit KI erledigen kann) für sie.
Falls ihr euch das nicht traut, oder ihr momentan nur von diesem fiesen Trieb gesteuert seid, aber noch gar nicht so richtig wisst, was das werden soll: Ihr seid ja meistens nicht allein! Sprecht mit euren Homies über eure Gefühle und schaut, wie ihr gemeinsam damit umgehen könnt. Vielleicht kommt euch ja auch die Idee, dass ihr gemeinsam mal ein anderes Feuerwerk entfachen könnt: Nehmt euch in den Arm, spielt an euch rum, werdet Ekstatisch. Das können und dürfen auch Jungs untereinander tun. Vielleicht macht es euch Spaß – dann habet ihr gleich ein neues Thema für’s neue Jahr. Wenn nicht, seid ihr um eine Erfahrung reicher.
Ich möchte euch nur um zwei Dinge bitten: benutzt Kondome und hört mit der scheiß Pyrotechnik auf.
Frohes Neues 🙂