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Alltag

1st World Problems

Wer mich kennt, weiß mit großer Sicherheit, dass ich in der Öffentlichkeit nicht mehr mit »junger Mann« angesprochen werde.
Als Angehöriger der »Generation X« (fast noch der »Generation Golf«) wurde ich in »Westdeutschland« sozialisiert.

Zu dieser Sozialisation eines Jungen gehörte in den 1980er Jahren der Konsum von Zeitschriften rund um »des Deutschen liebstes Kind« (Auto) sowie regelmäßige Besuche in den Tempeln des Kraftfahrzeugvertriebs, den Autohäusern.

Jede neue Generation des Golf, jedes neue PS eines Mercedes liessen mich entzückt in meine Traumwelt entgleiten: In der fuhr ein post-adoleszenter Jan mit einem schnittigen Audi-Coupé oder gar einem Mercedes SL durch die sonnigen Straßen Niedersachsens…

Ich war – wie die meisten Burschen damals – ein Auto-Narr.

Diese Leidenschaft kühlte sich recht bald ab, als ich merkte: der Aufwand, den man für Kauf und Unterhaltung dieser Kisten betreiben muss, steht in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Nutzen.

Mit Anfang 20 schlug mein Herz für »Youngtimer« (im Wesentlichen die Autos, die ich zehn Jahre vorher im Autoquartett geliebt habe) und ich durfte kurzfristig einen solchen mein Eigen nennen (bis mich der Unterhalt des Fahrzeugs während meiner Ausbildung beinahe in die Privatinsolvenz getrieben hätte…).

Mit Ende 20 kam dann die Erkenntnis: Eigentlich wäre es ganz schön, wenn mir jemand anderes ein halbwegs modernes und gut nutzbares Auto zur Verfügung stellt, und ich nur einen symbolischen Obolus dafür bezahle. Getreu dem Motto »Augen auf bei der Berufswahl« wurde ich dann »Werkzeugvertreter« und nannte fortan einen nagelneuen Passat mein Eigen (naja, mein Eigen war er nicht, aber ich durfte ihn »uneingeschränkt privat nutzen« – so stand es in meinem Arbeitsvertrag). Seit Januar 2008 mache ich mir also keine Gedanken mehr um Autos – das macht seitdem mein Arbeitgeber. Alle drei bis vier Jahre gibt es etwas neues und in den meisten Fällen war das dann die nächste Evolutionsstufe des vorherigen Modells.

Im Januar 2024 (sic!) steht der nächste Wechsel an – es wird also jetzt (Herbst 2022) Zeit, eine Wahl zu treffen (Lieferzeit 12-18 Monate).

In den letzten Jahren hat sich meine berufliche Aufgabe verändert und damit auch die Zuordnung in der »Fahrzeugrichtlinie«, in der es für bestimmte Aufgaben eine Zuordnung zu bestimmten Fahrzeugen gibt. Streng nach Richtlinie wäre damit dieser, mein fünfter, auch mein letzter Passat. Der freundliche »Berater« des Autohauses legte mir also nahe, dass ich mich mit den Vorzügen eines Audi vertraut machen solle. Damit das auch sicher klappt, durfte ich einen solchen für ein Wochenende zur Probe fahren.

Engel links, Teufel rechts

So fuhr ich also eines schönen Oktoberfreitags mit einem sehr üppig motorisierten Audi A6 Avant mit sehr viel »Schicki Micki« nach Hause. Im ersten Moment kam der kleine Autoquartett-Jan aus der Versenkung hervor: ich auf die Autobahn wie Walter Röhrl, kitzelte jedes der 286 Pferde und stellte recht schnell und ernüchtert fest: wenn man wie üblich die meiste Zeit der Fahrt telefoniert, die Autobahn zudem voll ist, dann nützt einem so eine Karre mal gar nix. Im VW-Konzern ist man Meister der Gleichteilestrategie und von daher gab es im Audi keine Überraschungen. Weder negativ, noch positiv. Kurzum: nett, aber auch nicht der Trumpf, den ich mir erhofft hatte.

Am Samstag stand dann die alltagsnahe Erprobung an, und die Kindersitze meiner Töchter wurden auf dem Rücksitz verbaut. Meine Frau nahm am Steuer platz und wir cruisten gemütlich ins nahe Lüneburg.

Auf dem Weg stellte meine Frau ihr erstes Fazit zum Auto klar: »Ganz okay, aber auch nicht viel besser als ein Passat« (so sehe ich es auch). Sie selbst fände einen Volvo V60 oder noch lieber einen V90 viel »spannender« und würde einen solchen gern mal probefahren.

In eben diesem Zentrum des mittelalterlichen Salzhandels ist meine Frau dank einiger Semester an der dortigen Universität noch immer ortskundig. Sie steuerte also das »Karstadt-Parkhaus Lüneburg« mitten im Zentrum der schönen Stadt an.

Das »Karstadt-Parkhaus« muss seinen Ursprung in der Blütezeit des gleichnamigen Warenhauskonzerns gehabt haben. Der damalige Architekt war Minimalist und vermutlich der Überzeugung, dass es auch in 100 Jahren kein größeres Fahrzeug als den »Volkswagen« oder einen »Taunus 12m« geben würde.
Irgendwann in den letzten 40 Jahren hätte man merken können, dass er sich in dieser Annahme geirrt hat – Karstadt war dann aber recht bald zu sehr damit beschäftigt, sich selbst über Wasser zu halten. Dementsprechend hat sich seitdem niemand mehr mit der Frage beschäftigt, wie gut man mit einem modernen Mittelklassewagen in diesem Parkhaus zurecht kommt.

Irgendwo in diesem Parkhaus sollten 37 freie Stellplätze sein.

In jeder Ebene, die wir uns hochschraubten merkten wir: das stimmte höchstens in der Theorie. In der Praxis blockierte oft ein modernes Auto zwei »Stellplätzchen« im Wirtschaftswunder-Format.

Trotz quälender Enge zirkelte meine Angetraute das ingolstädter Fünf-Meter-Monster gekonnt von Etage zu Etage. Bis ganz nach oben. Dort ging es nicht weiter, weil ein Volvo-Kombi dank seines immensen Radstandes die Kurve zur Abfahrt in Ausfahrtsrichtung nicht bekam. Die Fahrerin des Volvo bemühte sich sichtlich und stieg schließlich aus, kam auf uns zu und fragte flehentlich: »Können Sie mir das Auto da runterfahren? ich bekomme das nicht hin!«

Meine Frau und ich schauten uns an, und in meinem Kopf ginge zwei Gedanken umher: 1. Ich kann ja schlecht bei einer anderen Frau ins Auto steigen (old-school schüchterner CIS-Mann) und 2. was Rangieren angeht ist meine Frau eindeutig die bessere Wahl.
Es herrschte einige Sekunden Stille und Ratlosigkeit. Ich weiß um die Schwierigkeit meiner Frau, Entscheidungen zu treffen, also tat ich das, weswegen mein Chef mir einen Audi zur Verfügung stellen will: Ich traf eine Entscheidung: »Annika, mach du das doch am besten!«

Diese Entscheidung und die freudige Reaktion der Volvo-Fahrerin waren dann so überzeugend, dass sie ausstieg und mit der anderen Frau zu deren Volvo ging, sich ans Steuer setzte, zwei Mal vor und zurücksetzte und dann den Schwedenkombi souverän die Rampe heruntersteuerte.

Ich hatte währenddessen Mühe mich vom Beifahrersitz auf den Fahrersitz zu begeben, da das Schließsystem des Audi meine Tür nicht öffnen ließ. Hinter dem Volant angekommen wollte ich dann elegant dem Volvo hinterherfahren und stellte fest, dass ich es nicht hinbekommen sollte, die Kurven auf die Rampen in einem Zug zu schaffen – ich schlug mich also in etwa so wenig talentiert, wie die Volvo-Besitzerin und sehnte mir meine Pilotin zurück.

Unten angekommen musste ich mir dann einerseits den Ärger meiner Liebsten über meine Fremdbestimmung über sie und andererseits ihren Stolz auf die geleistete Abfahrt anhören.

Letzteres wollte ich dann mit einem kleinen Scherz untermauern und nannte als Begründung für meine spontane zusage, sie könne den Volvo fahren: »Du wolltest doch mal einen Volvo probefahren«.

Fand sie nicht komisch…

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