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Alltag

Was hat dich bloß so ruiniert?

Irgendwann Anfang dieses Jahrtausends machte ich Bekanntschaft mit der Band „Die Sterne“ – nicht persönlich, aber mit ihrer Musik.

Nachdem mich „Tocotronic“ in den Jahren davor schon in ihren Bann gezogen haben, waren „Die Sterne“ in den Jahren ab 2000 in meiner privaten „heavy rotation“. Ich habe keine Ahnung, wieso ich erst so viel später über „Die Sterne“ gestolpert bin, vielleicht lag es daran, dass Internet und Streaming noch nicht zum Alltag gehörten.

Mein erster Kontakt zum Album „Posen“ fühlte sich an, als wenn Frank Spilker und Kollegen aus meinem Leben – oder nur für mich allein singen würden. Die Texte hörten sich für mich avantgardistisch auf der einen und progressiv auf der anderen Seite an. Tracks wie „Inseln“ , „Scheiß auf deutsche Texte“, „Zucker“ und eben „Was hat dich bloß so ruiniert“ zogen mich in ihren Bann.

Heute, über zwanzig Jahre später, hat die Musik nichts von ihrem Reiz verloren. Die Perspektive auf den Text hat sich jedoch geändert.

Damals war ich Anfang 20 und gerade im Begriff mein Jura-Studium zu vergeigen. Ich lebte in einer 4er-WG in Kiel, finanzierte meinen Dosenbier-Konsum mit Nachtschichten im Taxi und rannte mir jeden Morgen nach ein paar Stunden Schlaf die Seele aus dem Leib. Ich hatte kein wirkliches Ziel im Leben und lebte von diesen einfachen Strukturen: morgens Waldlauf, mittags Tiefkühlpizza und abends ins Taxi. Am nächsten Morgen dann zwischen drei und fünf Frühstück, ein bisschen Fernsehen und schlafen.
Vier oder fünf Mal in der Woche.

An den anderen Tagen ging ich mit meinen WG-Kumpels feiern. Wir feierten hart und ausdauernd, hatten aber unterschiedliche Ziele: Einige suchten Ablenkung vom Alltag – ich suchte die große Liebe.

Beides ging nicht, das ist mir heute klar.
Damals dachte ich, dass mir irgendwann „die Eine“ über den Weg laufen würde – vermutlich war das Licht im „Tucholsky“ aber zu schlecht dazu.
Vielleicht war ein schüchterner, ketterauchender Zweimetermann mit Tequilla-Fahne nicht unbedingt ein massenkonformes Beuteschema.

Long story short: Nach vielen semi-erfolgreichen Dates und Beziehungsversuchen fand ich dann genau diejenige, die ich gesucht habe. Wir sind seit 20 Jahren ein Paar, die meiste Zeit davon verheiratet und haben zwei Kinder. Wie im Märchen.

Warum der Titel?

Irrsinnigerweise höre ich gerade wieder „Die Sterne“ in Dauerschleife und frage mich – auch wenn ich augenscheinlich „alles richtig gemacht habe“: Was hat dich bloß so ruiniert?

Objektiv betrachtet passt doch alles: tolle Familie, guter Job, super Einkommen. Trotzdem habe ich in letzter Zeit das Gefühl, dass ich immer noch im Taxi sitze.
Irgendwie weist mein innerer Kompass immer noch Wege auf einer Karte, die nicht mehr aktuell ist. Ich bin die letzten Jahre – im übertragenen Sinn – mit Navi durch mein Leben gefahren und weiß manchmal nicht mehr, wo ich jetzt eigentlich bin.

Ich habe viel Neues gesehen und viel erlebt. Manches gefällt mir, manches verstehe ich nicht. Es fühlt sich so an, als rase ich mit meinem Taxi auf der Überholspur – ohne Ziel und ohne Auftrag.

Mir ist eines klar: Auf der Überholspur bekommt man keine Touren. Niemand setzt sich zu mir in den Wagen, den meisten Weg fahre ich allein.
Ob das auf Dauer gut und richtig ist wage ich zu bezweifeln. Ein Taxifahrer braucht Gäste – die Vorstellung aber in die Bremse zu steigen und dann wartend auf dem Taxistand zu stehen sorgt aber dennoch für Unbehagen.

Dass sie nicht zuhören wollten oder nichts glauben
Waren sie dumm, zu dumm um zu verstehen,
Wovon du erzählt hast, wollten sie die Wahrheit rauben
Und dich einsperren in ihren Kaktusgarten
Konnten sie damit nicht warten?

Songtext von Was hat dich bloß so ruiniert © Gema, Warner Chappell Music, Inc

Um im Kontext zu bleiben: Vielleicht habe ich ja auch einfach nur eine Risikobiographie 🙈

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