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Alltag

Dystopie next Level

Vor rund einem Monat habe ich mich hier mit den Parallelen zwischen einer Comic-Ente und echten Nazis beschäftigt. Das ist kein schönes Thema, es lässt mich aber leider nicht los.

Ich bin in den 1970er Jahren geboren worden, meine Eltern sind Nachkriegskinder und meine Großeltern waren mehr oder weniger vom zweiten Weltkrieg betroffen oder sogar daran beteiligt.

Mein erst vor wenigen Wochen verstorbener Großvater war Jahrgang 1929 und hat Zeit Lebens sehr offen mit mir über seine Erinnerungen an die 1930er und 1940er Jahre gesprochen.
Er hat auch offen darüber geredet, dass er »Hitlerjunge« war und als Kind und Jugendlicher kaum Zweifel daran hatte, dass er im »tausendjährigen Reich« gut aufgehoben war.

Zweifel bekam er dann, als der Krieg 1944 plötzlich näher kam, als er mit seiner Familie und dem ganzen Dorf plötzlich die Flucht ergreifen musste, weil die Rote Armee sich langsam aber sicher auf Berlin zu bewegte. Er hat die Geschichte dieser Flucht, die Hinrichtung seines Vaters und den Hungertod seines jüngsten Bruders aufgeschrieben. Ich hoffe, dass meine Kinder diese Erinnerungen in ein paar Jahren lesen und als Mahnung verstehen werden. Noch viel mehr hoffe ich, dass es noch viele weitere Großeltern gibt oder gab, die ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln etwas vergleichbares hinterlassen haben.

Warum mich das so bewegt? Weil ich den Eindruck habe, dass eben diese Zeit, die eigentlich nie vergessen werden sollte, mittlerweile schon vergessen ist. Schlimmer noch: Ich befürchte, dass die Fehler von vor hundert Jahren sich wiederholen werden.

Gerhart Baum, ein großer Liberaler und Intellektueller, hat kürzlich ein bemerkenswertes Statement gegeben, das mich sehr nachdenklich gemacht hat.

Wenn ich den Werdegang der AfD zugrunde lege und mir die jüngsten Erfolge ansehe, dann fürchte ich, dass wir pünktlich – wenn nicht gar spätestens – zum 100. Jahrestag der Machtergreifung Adolf Hitlers eine »Regierung« mit Nazis auf allen wichtigen Posten haben werden. Was dann passiert brauchen wir uns nicht vorstellen, wir müssen nur die Geschichtsbücher lesen (bevor sie verbrannt werden).

Wie konnte es soweit kommen?

Die Nazis waren nie weg. Das braune Gedankengut hat in Deutschland auch nach Ende des Dritten Reichs weitergelebt. Die Ideologie wurde vererbt, man verhielt sich aber ruhig. Niemand wollte gern als Nazi erkannt werden, wenngleich man weniger Probleme damit hatte sich mit den Kernwerten des Nationalsozialismus zu identifizieren: Rassismus, Faschismus, Intoleranz.

Nach der Wiedervereinigung wurde rechte Gewalt bzw. rechter Terror plötzlich wieder sichtbar. Brennende Flüchtlingsheime ließen sich nicht schönreden, wenngleich man es gern als „ostdeutsches Problem“ darstellen wollte (Solingen und Lübeck passten da nicht so gut ins Bild).

Schon zu dieser Zeit gab es mächtige braune Netzwerke und gut organisierte Akteure wie Jürgen Rieger, Michael Kühnen, Christian Worch und viele andere. Diese Herren machten keinen Hehl mehr aus ihrer Gesinnung. Sie sprachen offen über ihre Ideologie und ihre (politischen) Ziele. Sie fanden Anhänger unter Skinheads und Kameradschaften und bei Parteien wie »DVU«, »Die Reupblikaner« und der »NPD«.

Politisch standen sie lange Jahre im Abseits. Die Abwehrmechanismen unserer Demokratie funktionierten, trotz einer nachweislichen Sehschwäche der Exekutiven auf dem rechten Auge, wurden verfassungsfeindliche Aktivitäten aufgedeckt und verfolgt. Großen Einfluss auf diese Maßnahmen hatten die oft als »vierte Gewalt« bezeichneten Medien.

Die Berichterstattung der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten befasste sich oft kritisch mit politischen Themen. Dabei wurde in den Parlamenten, in den Parteien und in Behörden recherchiert und (vermeintliche) Missstände wurden öffentlich gemacht. Gleiches galt für Recherchen in bestimmten Milieus, wie eben in rechten Netzwerken. Formate wie »Monitor« oder »Panorama«, später auch »Spiegel-TV« nahmen ihre Rollen als kritische Journalisten ernst und machten öffentlich, was sich hinter verschlossenen Türen formierte.

Viele Redakteure, Programmdirektoren, Verleger und Herausgeber zeigten Haltung. Haltung für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung und gegen alle Angriffe darauf.

Leider Gottes erlebten wir mit der Liberalisierung und der einhergehenden Kommerzialisierung der Medienlandschaft den Verlust eben dieser Haltung. Einschaltquote und Auflage wurden zum Maßstab für alle Inhalte. Unpopuläre Themen oder gar Kritik verkauften sich nicht gut – entsprechend wurden politische Formate immer weiter an den Rand gedrängt. Wenn sie dann nach einiger Zeit im Abseits auch die letzten Leser oder Zuschauer verloren hatten, konnte man sie wegen anhaltender Erfolglosigkeit einstellen.

Vormals kritische Sendeanstalten wie WDR oder NDR sind mittlerweile nichts anderes als rundgelutschte Unternehmen, die am Kropf der Quote und der Gunst der Politik hängen.

Tageszeitungen haben seit mehr als zwei Dekaden mit sinkenden Auflagen zu kämpfen. Es setzte ein Konzentrationsprozess ein, der nur noch wenige Verlage und gefühlt noch weniger Redaktionen übrig ließ. Erschwerend kommt hinzu, dass eben diese wenigen Verlage in der Hand von zumeist älteren, privilegierten Männern sind, deren Interesse an einer weltoffenen, zukunftsorientierten Gesellschaft eher angezweifelt werden darf.

Dann gibt es da noch die Mutter des medialen Populismus in Deutschland: Den Springer-Verlag.
Dieser hatte es stets verstanden unter dem konservativen Deckmantel auch rechtspopulistische Thesen ins Unterbewusstsein seiner Leserschaft zu bringen. Das Zentralorgan der unkritischen Leserschaft, die »Bild« war sich nie zu schade für reißerische Schlagzeilen am Rande des Grundgesetzes.

Wie kein zweiter Verlag hat Springer es verstanden seinen Einfluss aus der Print-Ära auch ins Digitale zu retten. Durch verschiedene Nachrichtenformate im Netz, im Fernsehen oder eben auch noch im Print werden weiterhin reißerische Meldungen, oft ohne jede Substanz, verbreitet. Springer ging es nie um Inhalte, es zählte stets die Stimmung und die sorgte für Auflage.

Wir befinden uns also seit vielen Jahren in einer Art Vakuum: Die regierenden Parteien und auch die etablierten Parteien der Opposition verstehen sich lediglich darauf die eigenen Positionen zu zementieren, ohne die Fehltritte und den sich ausdehnenden Machtanspruch von rechts inhaltlich adäquat zu kontern.
Unterstrichen wird dies von unkritischen Medien, die somit ein diffuses Gefühl von Unbehagen und Unkenntnis in der Bevölkerung verursachen. Dieses Gefühl ist der beste Nährboden für die Nazis.

Mit der AfD ist es dem rechten Spektrum erstmals gelungen seine Kräfte überall auf Bundesebene zu bündeln. Man verfolgt Strategien, die in anderen Ländern bereits großen Erfolg hatten. Egal ob »Brexit«-Initiative in Großbritannien oder den erfolgreichen Wahlkampf von Donald Trump in den USA: das Muster ist überall gleich!

So funktioniert es:

  • Phase 1: Contenance wahren! Man gibt sich als bieder-konservative Gruppe, die von »denen da oben« enttäuscht sind. Man stellt Forderungen, die von den meisten Menschen unterschrieben würden (»Kampf der Arbeitslosigkeit!«, »Runter mit den Steuern!«, »Mehr Kita-Plätze!«). Durch diesen niedrigschwelligen Ansatz findet man Zustimmung.
  • Phase 2: »Das wird man wohl noch sagen dürfen!?«
    Man postuliert Thesen, die anecken oder sogar über Grenzen gehen und bringt so die Kernthemen der Bewegung langsam aber sicher in die Öffentlichkeit. Es wird gegen »alleinreisende männliche Flüchtlinge« gewettert oder den »Sozialschmarotzern« aus Südosteuropa eine systematische Ausbeutung unseres Staats unterstellt.
    Lehnt man sich mit diesen Thesen zu weit aus dem Fenster, ist das Echo zu kritisch kommt der »Das wird man wohl noch sagen dürfen«-Reflex. Man rudert in der Öffentlichkeit ein bisschen zurück, hat aber dennoch die Thesen dort platziert, wo man sie haben wollte.
  • Phase 3: Radikalisierung
    Man tritt immer unverhohlener mit radikalen Thesen auf. In Debatten oder auf Wahlplakaten werden »Sozialtouristen« in die Heimatländer gewünscht und der Zugang zu weiten Teilen des Gesellschaftlichen Lebens nur denen zugestanden, die eine gemäß nationalsozialistischer Rassenlehre entsprechende »deutsche« Herkunft haben
  • Phase 4: Demontage des Etablierten
    Durch fortwährende Angriffe auf Personen und Institutionen werden diese »weichgekocht«. Einstmals gezogene »Brandmauern« fallen zusammen.
    Aufgrund der großen Anzahl von Mandaten der AfD in den Parlamenten werden der Partei auch immer mehr Ämter zuteil.
    Die Partei etabliert Strukturen, Personen und nicht zuletzt ihre Finanzierung.
  • Phase 4: Einfluss durch wechselnde Mehrheiten in der Opposition
    Genau das erleben wir derzeit in Thüringen. Die AfD wird Mehrheitsbeschaffer. Es bleibt eine Frage der Zeit, bis eine andere Partei sich revanchiert und für Anträge der AfD votiert.
  • Phase 5: Regierung
    Wenn das Zusammenspiel aus Medien, Fehlinformation und Stimmungsmache weiter so erfolgreich ist, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis die AfD Teil einer Regierung sein wird.
    Was uns dann droht konnten wir zuletzt in der Trump-Administration sehen: Dekrete, Gesetzesänderungen, Lügen und Günstlingspolitik – alles mit dem Ziel die demokratischen Strukturen wo es nur geht zu schwächen oder gar zu zerstören.
  • Phase 6: Apokalypse
    Wo der Verlust demokratischer Strukturen und die Herrschaft einer Elite mit einem faschistischen Menschen- und Weltbild hinführt können wir in unseren Geschichtsbüchern nachlesen.
    Umso perfider, dass ausgerechnet ein Geschichtslehrer Vorreiter dieser Partei ist…

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